Ouarda Saillo
Tränenmond
Ehrenwirth 2004
Helgas Meinung
"Geh und sag den Nachbarn, dass dein Vater mich töten
wird" waren die letzten Worte, die die fünfjährige Ouarda von
ihrer Mutter hörte. Sie ging lieber mit ihren kleinen Schwestern
spielen, und kurz danach wurde die verkohlte Leiche ihrer Mutter
abgeholt.
Was dann folgte, war ein Martyrium. Der Vater kam ins Gefängnis und
die zahlreichen Kinder wurden auf die Verwandtschaft aufgeteilt,
notwendigerweise geduldet, dafür aber gedemütigt und missbraucht,
wovon die Autorin schonungslos berichtet. Das Leben in ihrer Heimat
Marokko war für Ouarda eine Qual, nicht nur wegen ihrer
Lebensumstände, sondern weil sie sich auch die Schuld am Tod der
geliebten Mutter hatte.
So wuchs sie elend unter schwierigen Bedingungen heran, schlug sich
durch, versuchte einen Zipfel Freiheit und Glück für sich zu
erhaschen.
Sie findet Arbeit in einem Restaurant in Agadir, wo sie einen
Deutschen kennenlernt, der sich in sie verliebt. Er verkörpert alles,
wonach sie strebt. Er nimmt sie mit nach Deutschland und heiratet sie.
Die Ehe scheitert, aber Ouardas Bewusstsein erwacht.
Sie fängt an, ihr Leben zu hinterfragen und möchte wissen, warum
alles so gekommen ist, wie es war.
Deshalb beginnt sie eine gewagte Reise in die eigene Vergangenheit,
legt alle wunden Punkte schonungslos offen, stellt sich allen
Konflikten.
Als sie mit ihren Schwestern über das Unaussprechliche spricht,
erfährt sie als Erwachsene zum ersten Mal, dass sie nicht schuld am Tod
ihrer Mutter ist. Es folgt eine lange und wütende Anklage auf eine
Gesellschaft, die gnadenlos wegguckt, wenn irgendwas nicht ins Raster
passt, die allen Menschen Verhaltensweisen aufdrückt, aus denen es kein
Entrinnen gibt, die dem Individuum kein Recht auf Entfaltung und
Selbstverwirklichung gewährt.
Die Autorin jedoch hat ihren Weg gefunden, um mit der Bürde der
Vergangenheit fertig zu werden.
Ein sehr mutiges und mutmachendes Buch. |
Kommentare? Anregungen?
Schreibt uns:
Helga
|