Michael Crichton

The Lost World

Vergessene Welt

Random House 1995

Diese Kritik bezieht sich auf das amerikansiche Original.

Monikas Meinung

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Sechs Jahre sind vergangen seit den Ereignissen auf der Isla Nublar, von denen die Öffentlichkeit niemals etwas erfahren hat, da alle Überlebenden zum Schweigen verpflichtet wurden. Den nur knapp dem Tod entronnenen Mathematiker Ian Malcolm hat es inzwischen ans Santa Fe Institute verschlagen, wo er sich einem neuen Forschungsgebiet, der Komplexitätstheorie, verschrieben hat. Die anderen sind in alle Winde verstreut, widmen sich ebenfalls neuen Aufgaben oder sind inzwischen verstorben. Das Leben geht scheinbar wieder seinen normalen Gang, zumindest äußerlich geben alle sich die größte Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie von den Ereignissen im Jurassic Park geprägt wurden.

Diese scheinbare Normalität findet jedoch ein jähes Ende, als durchsickert, dass an der Küste von Costa Rica immer wieder Kadaver von seltsamen Tieren angeschwemmt werden, die so merkwürdig sind, dass die Behörden sich befleißigen, sie mit der Begründung der Seuchengefahr umgehend verschwinden zu lassen. Der ebenfalls am Santa Fe Institute weilende Paläontologe Richard Levine will sich mit dieser Erklärung jedoch nicht zufrieden geben: Er ist überzeugt, dass seine bevorzugten Forschungsobjekte - die Dinosaurier - in einem abgelegenen Winkel der Welt überlebt haben und plant eine Expedition, für die er Malcolm als Begleiter ausersehen hat. Er hat jedoch nicht mit dessen kategorischer Ablehnung und scheinbarem Desinteresse gerechnet. Obwohl es ihnen gelungen zu sein scheint, die Herkunft der Kadaver auf eine Inselgruppe vor der Küste von Costa Rica einzugrenzen, ist der Mathematiker nach wie vor skeptisch und nicht gewillt, sich Hals über Kopf in ein neues, ungewisses Abenteuer zu stürzen. Die wahren Gründe dafür verschweigt er seinem Freund jedoch wohlweislich. Levine macht sich also zunächst allein auf den Weg, und kurz darauf empfängt Malcolm eine verstümmelte Botschaft per Satellitentelefon, die er als Notruf interpretiert. Von diesem Moment an überstürzen die Ereignisse sich förmlich und Levines Freunde brechen zu einer Rettungsaktion auf, obwohl sie keine Zeit mehr haben, ihre Ausrüstung auf Feldtauglichkeit zu überprüfen. In Costa Rica soll noch Sarah Harding zu ihnen stoßen, eine auf Hyänen und Löwen spezialisierte Verhaltensforscherin, die zu dieser Zeit auf dem afrikanischen Kontinent weilt und die mit Ian Malcolm seit dessen Unfall eng befreundet ist.

Bei ihrer Ankunft auf der Isla Sorna, einer von fünf Inseln, die unter dem Namen "Las Cinco Muertes" unter den Einheimischen bekannt sind, stoßen sie auf Levines verlassenen, zerfetzten Rucksack, der darauf schließen lässt, dass er von irgendetwas angegriffen wurde, von Levine selbst finden sie zunächst jedoch keine Spur. Dafür treffen sie alsbald auf die ersten Dinosaurier, die Levines These von einer vergessenen Welt zu bestätigen scheinen.

Michael Crichton hat einmal in einem Interview gesagt, er hätte VERGESSENE WELT eigentlich nie schreiben wollen, sei aber von seinen Lesern förmlich zu einer Fortsetzung des Thrillers DINO PARK gedrängt worden. Streckenweise merkt man dies dem Buch auch stark an, selbst wenn es kaum weniger spannend ist als der erste Teil. Der Zauber des Neuen, Unbekannten, den DINO PARK ausübt, ist so ziemlich dahin, da der Leser im Grunde schon ziemlich genau weiß, was ihn erwartet. Auch wenn Crichton in diesem zweiten Teil eine Reihe "neuer" Dinosaurier einführt, macht er sich nicht mehr die Mühe, sie in allen Einzelheiten zu beschreiben. Als Leser muss man weitaus mehr Fantasie und Eigeninitiative aufbringen, um diese fremdartigen Wesen wirklich vor seinem geistigen Auge zu sehen. Die Geschichte selbst ist zwar spannend, birgt aber relativ wenige wirkliche Überraschungen, auch wenn außer Ian Malcolm fast alle Charaktere neu sind.

VERGESSENE WELT krankt, wie so viele andere "Nachfolgebücher" auch, am Fortsetzungssyndrom. Schon auf den allerersten Seiten wird der Leser mit einem - wenn auch verzeihlichen - Anachronismus konfrontiert: Der tot geglaubte Malcolm ist wieder "auferstanden", allerdings muss man Crichton zugute halten, dass er sich sehr viel Mühe damit gegeben hat, diesen Tatbestand so glaubwürdig wie möglich zu erklären. Wer den zynischen, ewig schwarz sehenden (und tragenden) Mathematiker in DINO PARK besonders geschätzt hat, wird diese Ungereimtheit mit einem Lächeln übergehen, und in der Tat wäre VERGESSENE WELT ohne seine Gegenwart wahrscheinlich unlesbar bzw. wohl gar nicht erst geschrieben worden. Ian Malcolm, der im ersten Band nur eine unbequeme, wenn auch extrem sympathische Randfigur war, ist im zweiten Teil zum (Anti)Helden avanciert, um den sich der Handlungsfaden spinnt.

Unter den neu eingeführten Charakteren heben sich vor allem Sarah Harding und Richard Levine hervor. Letzterer ist ein entsetzlich pedantischer, arroganter, reicher Schnösel, den wohl niemand gern zu Hause hätte. Er besticht lediglich durch seine Intelligenz und sein überragendes Wissen, zerrt aber ansonsten gewaltig an den Nerven des Lesers, der sich manches Mal wünscht, in die Handlung eingreifen und ihm einmal gehörig die Meinung sagen zu können. Sarah Harding ist der ruhende Pol zwischen den beiden ungleichen männlichen Hauptfiguren. Sie hat etwas, was den beiden Männern völlig abgeht, nämlich Sinn für Praktisches und für Realität. Nebenbei hat sie als alleinstehende Frau anscheinend folgenden Grundsatz: Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner, und ganz sicher kein Mann. Für den weiblichen Leser ist es eine Wohltat, die klassischen Rollen hier einmal vertauscht zu sehen, da das so genannte "starke Geschlecht" sich letztendlich als ziemlich schwach erweist. Sarah hat für alles eine praktische Lösung und vor allem ein Durchhaltevermögen, das zumindest zweien ihrer männlichen Begleiter ziemlich abgeht. So manchem männlichen Leser wird sie wahrscheinlich als "Mannweib" erscheinen, aber wer so empfindet, sollte sich einmal fragen, warum ein Mann in einer solchen Rolle immer fraglos akzeptiert wird, eine Frau jedoch nicht. Alle Figuren sind wie bei DINO PARK leicht überzeichnet, aber in einem Actionthriller will man schließlich keine Charaktere, die an der ersten Flussbiegung schlappmachen.

Auch wenn VERGESSENE WELT leider nicht die hohe Qualität von DINO PARK erreicht, ist es trotzdem ein Buch, das für die Fans von Michael Crichton einiges zu bieten hat, nicht zuletzt, weil er auch diesmal geschickt reale Schauplätze wie das Santa Fe Institute oder Passagen über wissenschaftliche Themen eingebunden hat. Wenn man nach der Lektüre z.B. zu einem Buch über die Komplexitätstheorie greift, dann hat VERGESSENE WELT trotz allem seinen Zweck nicht verfehlt, nämlich die Fantasie zu beflügeln, zum Nachdenken anzuregen und die Neugier auf einen neuen, vielleicht vorher unbekannten Themenkreis zu lenken.

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Zuletzt aktualisiert am: Sonntag, 18. Juni 2006

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