   
    Steven M. Stanley
    Wendemarken des Lebens
      Monikas Meinung: 
        
    Die Geschichte des Lebens auf der Erde besteht aus einem ständigen Kommen und Gehen
    von Arten. Seit das Leben vor ca. 3,6 Milliarden Jahren entstand (oder auf die Erde
    gelangte), kam es immer wieder zu größeren und kleineren Aussterbewellen, nach denen
    sprunghaft neue Arten in der fossilen Überlieferung erschienen. Besonders prägnant unter
    diesen Aussterbeereignissen sind die "Großen Fünf", in deren Verlauf jeweils
    mehr als 50% der Arten verschwanden. Steven Stanley nimmt in seinem 1987 erschienenen Buch
    den Leser mit auf eine Zeitreise durch diese Krisen der Evolution. 
    Neben einer chronologischen Darstellung der Aussterbeereignisse beschäftigt sich das
    Buch auch mit deren Ursachen. Bei der Lektüre sollte man jedoch im Auge behalten, daß
    die hier präsentierten Forschungsergebnisse bereits mehr als zehn Jahre alt sind und
    daher inzwischen zum Teil überholt, selbst wenn sich in manchen Punkten die Geister der
    Spezialisten nach wie vor scheiden. Die sog. kosmische Hypothese, daß nämlich einige
    dieser Krisen auf Kometen- oder Asteroideneinschläge zurückzuführen sind, war zur Zeit
    der Entstehung des vorliegenden Textes noch nicht so anerkannt, wie sie heute ist. Dies
    soll allerdings nicht heißen, daß sie nicht noch immer ihre Gegner hätte. 
    Als anschauliches Beispiel soll hier einmal mehr die Krise am Ende der Kreidezeit
    dienen, die vor rund 65 Millionen Jahren dem Erdmittelalter ein Ende bereitete. Der Krater
    von Chicxulub im Golf von Mexiko wurde Anfang der 90er Jahre entdeckt; Ende der 80er galt
    es noch als umstritten, ob die Iridiumanomalie in der Grenzschicht tatsächlich
    außerirdischen Ursprungs ist. Es wurde gern gekontert, daß dieses Iridium auch auf der
    Erde entstanden und durch Vulkanismus an die Oberfläche gelangt sein könnte. Die
    gigantischen Basaltablagerungen auf dem indischen Subkontinent, die sog. Deccan Trapps,
    schienen eine plausible Erklärung für diese Hypothese zu liefern. Ihr Alter wurde mit
    65-67 Millionen Jahren angegeben, was genau auf die K/T-Krise gepaßt hätte. Fortschritte
    in der Datierungstechnik von Gesteinen haben dies inzwischen jedoch widerlegt: Die Deccan
    Trapps sind ein paar Millionen Jahre älter, und die K/T-Krise fällt genau in eine
    Ruhephase zwischen zwei Eruptionsphasen. Für die Zeit der aktiven Phasen sind keinerlei
    katastrophale Aussterbeereignisse belegt. 
    Vor dem Hintergrund des Wissens um den Chicxulub-Krater sind Stanleys Anmerkungen zu
    den Aussterbemustern auf dem nordamerikanischen Kontinent äußerst interessant: Er stellt
    nämlich fest, daß die Verluste an Arten im Gebiet um den (damals noch unbekannten)
    Krater am höchsten waren und nach Norden hin graduell abnehmen. Seine Erklärung, daß
    tropische Arten bei einer Klimaverschlechterung immer höhere Aussterberaten aufweisen als
    solche, die an kältere Verhältnisse angepaßt sind, klingt zunächst plausibel.
    Betrachtet man dieses Muster jedoch in Kenntnis eines Kraters von fast 200 km Durchmesser,
    kommt man zu einer anderen, sehr viel einfacheren Erklärung. Es ist klar, daß am
    unmittelbaren Einschlagsort die Auswirkungen auf die Umwelt am verheerendsten gewesen sein
    müssen und daß sie graduell abnehmen, je weiter man sich vom "Punkt 0"
    entfernt. Aber ebensowenig wie sich jedes Aussterbeereignis duch einen kosmischen
    Einschlag erklären läßt, kann man jedesmal eine Klimaveränderung dafür (allein)
    verantwortlich machen; diese Art von Erklärung scheint etwas zu simpel und hinterläßt
    beim Leser das Gefühl, daß man es im Grunde nicht genau weiß, sich aber verpflichtet
    fühlt, eine Aussage zu machen. Hier ist noch sehr viel Raum offen für künftige
    Forschung. 
    "Wendemarken des Lebens" ist nichtsdestotrotz ein Buch, das man gelesen haben
    sollte, wenn man sich für diesen Themenkreis interessiert, es dürfte inzwischen als
    Klassiker gelten. Der Spektrum-Verlag hat bei dieser preiswerten Neuauflage zwar an der
    äußeren Ausstattung (Paperback statt Hardcover) "gespart", nicht jedoch an der
    Qualität der Abbildungen: Das Buch ist wie die Originalausgabe reichlich mit Farbfotos
    und Schwarzweißabbildungen illustriert, die allein schon einen Kauf rechtfertigen. Der
    geringe Preis sollte es für einen breiteren Leserkreis attraktiv machen. Es enthält wie
    alle Spektrum-Bücher einen Index und außerdem eine Liste von weiterführender Literatur. 
    Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 1988/1998 
    ISBN 3-8274-0475-4 (Neuausgabe 1998) 
    Originaltitel: Extinction 
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