Warum sich dieses Buch "Roman" nennt, ist mir nicht
ganz klar. Eine junge Frau lässt am Vorabend ihrer Hochzeit, die sie
ins Ausland führen wird, ihr bisheriges Leben Revue passieren. Im
Verlaufe der Lektüre wird man frappierende Übereinstimmungen mit der
Biografie der Autorin feststellen. Und das ist das Buch tatsächlich:
eine Biografie. Mit Sicherheit wird nicht alles wahr sein, aber die
Autorin beschreibt sehr detailliert und eindrücklich eine
Familensaga aus weiblicher Sicht, bleibt dabei aber strikt auf dem
fantasievollen, farbenfrohen Teppich und unterscheidet sich durch
das Fehlen des magischen Realismus vom bekannten
lateinamerikanischen Stil.
Die Autorin hat sich beruflich der öffentlichen
Verwaltung verschrieben, und so schreibt sie auch ihr Buch: Wie eine
öffentliche Vorschrift, logisch, detailreich, präzise, nichts
vergessend. Dadurch wird es stellenweise etwas unübersichtlich.
Dennoch sind die Fakten erschütternd, Leid,
Einsamkeit und Sprachlosigkeit fesseln. Wir lernen eine durch und
durch patriarchalische Gesellschaft kennen, in der das Alphamännchen
machen darf, was ihn gelüstet, und alle anderen Familienmitglieder
sich dem unterzuordnen haben.
Immer wieder ist es angesichts der bitteren Armut
für die Mutter ein Problem, die Familie satt zu bekommen, während
der Vater genug Geld für die Kneipe hat. Da stirbt die
Lieblingstante bei der Geburt des 17. Kindes, da führen Vater und
Sohn einen beinahe tödlichen Kampf, weil der Sohn nicht mehr
ertragen kann, wie der Vater die Mutter behandelt. Da lässt sich
eine junge Frau, fern der Heimat, die Freuden der Liebe durch die
Lappen gehen, weil der Arm der gnadenlosen Sittsamkeit bis in die
Hauptstadt reicht.
Natürlich wird das Lebhafte, Bunte,
Leidenschaftliche immer wieder beschworen, aber letztlich geht es um
Lebenswege, in denen das Glück wenig Chancen hat.
Und dann tritt er eines Tages in ihr Leben: der
Europäer, der ihr klarmacht, dass sie das Recht hat, ihr eigenes
Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten - geradezu
ungeheuerlich, aber als so befreiend erlebt, dass das
Sendungsbewusstsein in einem Buch mündete, das in Lateinamerika
mittlerweile Kultstatus hat. |