Herbert Rosendorfer
Die Große Umwendung
Monikas Meinung:
Den chinesischen Gelehrten Kao-Tai, der sicher vielen Lesern noch aus "Briefe in
die chinesische Vergangenheit" in guter Erinnerung ist, hat es ein zweites Mal in die
fremde Welt der Großnasen verschlagen. Wie beim letztenmal kommt er nicht exakt dort an,
wo er eigentlich wollte und landet mit seiner Zeitmaschine mitten im Kölner Karneval.
Immerhin hat er dadurch den Vorteil, nicht sofort aufzufallen, da sich auf den Straßen
eine Menge merkwürdig gekleideter Großnasen herumtreiben.
Diese Tatsache ist jedoch nur ein schwacher Trost, denn eigentlich wollte er in der
Stadt Min-chen ankommen, um bei seinem alten Freund, Herrn Shi-shmi, Unterkunft zu finden.
Fünfzehn Jahre sind vergangen seit seinem ersten Ausflug tausend Jahre in die Zukunft,
und so manches hat sich inzwischen verändert in Deutschland. Nach einer recht
abenteuerlichen Reise per Anhalter gelangt er endlich nach Min-chen, jedoch nur um zu
erfahren, daß Herr Shi-shmi zur Zeit nicht dort weilt, sondern in der im Osten gelegenen
Stadt Lip-tsing. Kao-Tai macht sich also auf und reist in die von noch merkwürdigeren
Großnasen bewohnte rote Schüsselprovinz.
Die Fortsetzung eines erfolgreichen Buches oder Filmes ist immer ein gewagtes
Unterfangen. Herbert Rosendorfer ist es mit "Die große Umwendung" jedoch ein
zweites Mal gelungen, den Leser in seinen Bann zu ziehen. Kao-Tais ganz besonderer Blick
auf die seltsamen Sitten und Gebräuche der modernen westlichen Kulturen, die er nur
"Großnasen" nennt, ist auch diesmal eine ausgesprochen vergnügliche Lektüre.
Wieder einmal bekommt man vor Augen geführt, daß viele Dinge, die man als
selbstverständlich hinnimmt, aus der Distanz des Fremden betrachtet, äußerst
merkwürdig erscheinen. So wundert sich Kao-Tai z.B. darüber, daß es Länder gibt, die
keinen Kaiser haben (undenkbar!), statt dessen regiert dort eine Art Obermandarin wie Herr
Ko in Deutschland. Auch das Land selbst hat sich seit seinem letzten Besuch verändert, es
ist nun zwar de facto nicht mehr zweigeteilt, aber die Bevölkerung teilt sich in
"Os-sis" und "Wes-sis" auf, die anscheinend nicht besonders gut
aufeinander zu sprechen sind. Die Os-sis leben in der sog. roten Schüsselprovinz unter
kaum vorstellbaren Verhältnissen - jedenfalls kommt es Kao-Tai so vor.
Diesmal beschränkt sich Rosendorfer jedoch nicht darauf, die Deutschen auf's Korn zu
nehmen, auch die Amerikaner bekommen ihr Fett weg. Man stelle sich unseren Kao-Tai nur
einmal in einer amerikanischen Großstadt vor! Es ist schon sehr abenteuerlich, überhaupt
erst einmal dorthin zu gelangen, da man nicht einfach mit dem A-Tao-Wagen dorthin fahren
kann, sondern in einen eisernen Flugdrachen steigen muß, und trotzdem dauert die Reise
fast einen halben Tag. Kao-Tai ist froh, als er diese noch verrücktere Welt wieder
verlassen kann, in der man ihm sein Lieblingsgetränk, an das der Leser sich vielleicht
noch erinnert - oh Schreck - mit Eiswürfeln serviert. Auch mit einigen anderen seltsamen
Gebräuchen kommt Kao-Tai in Berührung, so muß er z.B. ein merkwürdiges Singspiel
ansehen und, was für ihn noch schlimmer ist, ein Spiel, das seine Gastgeber als
"Spong" bezeichnen und das in ihrer Welt einen für ihn völlig unverständlich
hohen Stellenwert zu haben scheint.
Dies sind nur ein paar Hinweise darauf, was unserem Gelehrten diesmal alles
widerfährt. Wer die "Briefe in die chinesische Vergangenheit" gemocht hat,
sollte sich diese neuen Briefe auf keinen Fall entgehen lassen. Sie garantieren auf jeden
Fall einige ausgesprochen vergnügliche Lesestunden.
Herbert Rosendorfer: Die Große Umwendung
Erschienen 1997 bei Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 3-462-02632-1
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