Ian McEwan

Saturday

Helgas Meinung

Ich wollte schon immer mal ein Buch lesen, das von einem einzigen Tag im Leben einer Person handelt. Und hier haben wir einen glücklichen Neurochirurgen, bei dem soweit alles im Lot ist. Bis er eine Begegnung hat, die ihm, wie es auf dem Buchdeckel heißt, jeden Frieden raubt. Zu viel möchte ich hier nicht verraten, doch der Tag endet für den Chirurgen letztlich gut. Er kann sich und seine Lieben der drohenden Gefahr entziehen, durch die Kraft der Poesie. Und das führt bei mir zu einem ganz ordentlichen Punktabzug. Das Buch ist eine sehr stimmige, hervorragend beobachtete und sorgfältig komponierte Beschreibung eines zufrieden dahinplätschernden Lebens. Alles gut vorstellbar. Und dann passiert die Sache mit der Poesie, die schlecht vorstellbar ist. Dass es so gelaufen sein könnte, ist so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Betriebsblindheit, würde ich sagen. McEwan als berühmter Schriftsteller ist es gewöhnt, dass die Leute nach seinen Worten dürsten, doch die Worte des Normalmenschen verfügen über weit weniger Kraft, die eines Hauptschullehrers fallen nochmal ganz deutlich dagegen ab. Die Rolle der Poesie wird gewaltig überschätzt, und die entsprechende Szene finde ich richtig ärgerlich.

Und noch ein paar Dinge halten bei dieser fein austarierten Erzählung das Gleichgewicht nicht. Unser Chirurg ist seit vielen langen Jahren glücklich verheiratet und hat zwei wohlgeratene Kinder. Nichts gegen glückliche Ehen, aber nur Friede, Freude, Eierkuchen ist unglaubwürdig. In den besten Ehen (außer dieser hier) gibt es Differenzen, Divergenzen und Konflikte. Glücklicherweise streitet der Protagonist heftig mit seiner geliebten Tochter, und das hat mich zum Weiterlesen animiert.

Eine Partie Squash, bei der jeder einzelne Schlag beschrieben wird, wurde woanders "meisterhaft" genannt, aber ich fand sie einfach schrecklich langweilig. Leider geht in dem Mann beim Spielen einiges vor, und so ist man leider gezwungen, diese vielen Seiten über das Squashspiel zu lesen, denn beim Überblättern würde etwas fehlen.

Noch eine langatmige Passage, die ich mir gerne weggewünscht hätte, war die Probe für ein Blues-Konzert. Jazzfans werden mit Sicherheit begeistert sein, aber wer sich nichts aus dieser Musik macht, wird das Ende der Probe nicht abwarten können.
Von diesen Haken und Ösen abgesehen hat es viel Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen. Letztlich geht es um ein völlig unspektakuläres und banales Leben, und dies so zu beschreiben, dass man trotzdem weiterlesen möchte, ist schon eine Kunst.

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Zuletzt aktualisiert am: Sonntag, 30. Oktober 2005

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