Im Jahr 1902 wurde Lieserl Maric geboren, die uneheliche
Tochter von Albert Einstein und dessen damaliger Lebensgefährtin und späteren Ehefrau
Mileva Maric. Im Alter von nicht ganz zwei Jahren soll sie bei einer Scharlachepidemie
gestorben sein, genaueres ist nicht bekannt. Daß es sie überhaupt gegeben hat, drang
erst an die Öffentlichkeit, als Briefe von Einstein an Mileva Maric aus dieser Zeit
auftauchten.
Anne McGrails Roman "Fräulein Einsteins Universum" basiert auf dieser wahren
Begebenheit und erzählt das Leben von Lieserl, wie es hätte sein können. Lieserl ist
acht Jahre alt, als ihre Mutter sie zum letzten Mal auf dem Bauernhof in der Nähe von
Novi Sad besucht, wo sie bei ihrer Pflegemutter Desanka, einer resoluten, alleinstehenden
Bauersfrau aufwächst. Lieserl weiß nicht, daß die vornehm wirkende Frau ihre Mutter
ist, ebensowenig daß der kleine blonde Junge, der sie begleitet, ihr Bruder Hans Albert
ist. Die Wahrheit erfährt sie erst einige Jahre später, und von diesem Moment an ist ihr
Leben nur noch von einem Gedanken erfüllt: Rache zu nehmen an ihrem inzwischen berühmten
Vater, der ihre Mutter daran gehindert hat, sie zu sich zu nehmen.
Sie hat sich einen ganz besonderen Rachefeldzug ausgedacht, nämlich ihren Vater mit
seinen eigenen Waffen zu schlagen. Von ihrer Mutter hat sie die mathematische Begabung
geerbt, mit deren Hilfe sie diesen Plan verwirklichen will. Sie stürzt sich in ihre
Studien, wobei sie immer wieder gegen die gesellschaftliche Ordnung anrennt, die es Frauen
in jener Zeit versagt hat, wissenschaftlich zu arbeiten.
Das Buch erzählt eine fiktive Geschichte, die auf realen Personen basiert. Die
Hauptakteure sind zwei sehr gegensätzliche Frauen, von denen die eine (fast) perfekt in
ihre Zeit zu passen scheint, die andere dagegen nicht. Die Geselllschaft in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts wird recht gut porträtiert, vor allem die Stellung der Frau
wird anhand von einigen recht krassen Beispielen gut beschrieben: Es ist Lieserl z.B.
nicht erlaubt, wissenschaftliche Zeitschriften selbst auszuleihen, sie muß damit einen
Mann beauftragen. Negativ zu vermerken sind die Gründe, die Lieserl zu ihren Studien
treiben: Warum kann eine Frau nicht einfach Freude an der Wissenschaft haben und um der
Sache willen wißbegierig sein, sondern muß von so niederen Beweggründen wie
Rachegefühlen angetrieben werden? Ganz nachvollziehbar ist dieser Aspekt des Buches
nicht. Trotzdem ist "Fräulein Einsteins Universum" lesenswert, nicht zuletzt
wegen der immer wieder in die Handlung eingeflochtenen Erklärungen wissenschaftlicher
Fakten, die niemals trocken und "lehrbuchhaft" präsentiert werden.
Ein (fast) ungetrübtes Lesevergnügen für einen breiten Leserkreis, kein reiner
Wissenschaftsroman, aber auch kein "Frauenroman" im eigentlichen Sinne. Alles in
allem hebt es sich positiv ab von Hera Lind und Konsorten.