Stephen King
The Green Mile
Die Kritik bezieht sich auf die deutsche Übersetzung von Joachim
Honnef.
Monikas Meinung:
Paul Edgecomb ist Aufseher in Block E des Staatsgefängnisses in Cold
Mountain. In Block E warten die Todeskandidaten auf ihre Hinrichtung,
und dort steht auch der elektrische Stuhl, scherzhaft "Old Sparky"
genannt. Der Fußboden im Gang ist mit grünem Linoleum ausgelegt,
weswegen die letzte Meile dort die "grüne Meile" genannt
wird, der Weg, den die Verurteilten am Tage ihrer Hinrichtung
zurücklegen.
The Green Mile berichtet über die denkwürdigen Ereignisse, die sich
im Spätsommer 1932 in der Strafanstalt zutragen, als John Coffey nach
Cold Mountain kommt. Coffey ist ein riesiger Schwarzer, der sich seiner
Körperkräfte meistens nicht bewusst ist. Angeblich hat er zwei kleine
Mädchen vergewaltigt und bestialisch ermordet, jedenfalls ist er für
dieses Verbrechen zum Tode verurteilt worden. Er hat jedoch nicht nur
ein kindliches Gemüt, sondern auch eine besondere Gabe, die Paul immer
mehr an seiner Schuld zweifeln lässt, als er diese Kräfte am eigenen
Leib spürt und Zeuge von zwei weiteren Demonstrationen von Coffeys
außergewöhnlichen Kräften wird.
The Green Mile ist nicht unbedingt ein Buch, das man von Stephen King
erwarten würde, jedenfalls dann, wenn man seine frühen Werke gelesen
hat. Das "Phantastische" ist hier nur am Rande präsent, auch
wenn es letztendlich der Motor der Geschichte ist. Aber es geschehen
nicht am laufenden Band schreckliche oder merkwürdige Dinge, wie man
sie von einem Autor erwartet, der hauptsächlich für seine
Horrorgeschichten bekannt geworden ist. Im Grunde genommen passiert
nicht allzu viel, über den Mord an den Mädchen erfährt man erst
relativ spät genauere Einzelheiten. Im wesentlichen wird das Leben auf
der Todesmeile beschrieben, nicht sehr aufregend für ein immerhin gut
500 Seiten dickes Buch. Es sind die Details, die es lesenswert machen
und weswegen man sich glücklich schätzt, das es inzwischen in einem
einzigen Band erhältlich ist. Ursprünglich wurde es in sechs
Einzelfolgen veröffentlicht – nicht auszudenken, wenn man monatelang
auf die Fortsetzung warten muss, wenn es gerade richtig interessant
geworden ist!
Was auffällt ist, dass King sich Zeit nimmt, seine Charaktere
aufzubauen. Einige sind blasser als andere, aber insgesamt hat man den
Eindruck, dass es sich um wirkliche Menschen handelt, man kann ihre
Gefühle und ihren Zwiespalt nachvollziehen, als sie entdecken, dass sie
womöglich gezwungen sind, einen unschuldigen Menschen hinzurichten.
Aber nicht alle sind den Insassen in Block E wohlgesonnen, und Percy
Wetmore, der notorische Unruhestifter unter den Aufsehern, trägt mit
seiner Brutalität und seinem Sadismus dazu bei, dass Edgecomb sich
schließlich versetzen lässt.
The Green Mile ist eine Geschichte mit einer Rahmenhandlung, die zwei
Zeitebenen beinhaltet: Die Gegenwart, in der Edgecomb im Altersheim
seine Erinnerungen niederschreibt und das Jahr 1932, in dem die
eigentliche Geschichte spielt. Wer noch nie etwas von Stephen King
gelesen hat, weil er sich bisher immer von dessen Ruf als trivialer
Vielschreiber hat abschrecken lassen, sollte es vielleicht einmal mit
The Green Mile versuchen. Es ist keine hohe Literatur, aber ein Buch,
das sicher nicht nur für eingefahrene Stephen King Fans attraktiv sein
dürfte.
Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach, 2000
ISBN 3-404-14343-4
Original: The Green Mile 1-6, 1996
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