Ursula K. Le GuinDie linke Hand der DunkelheitMonikas Meinung:
Genly Ai wird als Gesandter der Ökumene der Menschen zur ersten Kontaktaufnahme zum Planeten Winter geschickt, der von den Einheimischen Gethen genannt wird. Traditionell wird zuerst ein einzelner Botschafter zu einer Welt gesandt, die vorher noch nie Kontakt mit einer fremden Zivilisation hatte, da ein einzelner bei vielen Völkern gastlich aufgenommen wird, während zwei Fremde zusammen oft schon als Bedrohung empfunden werden. Die Bewohner von Gethen sind menschlich, doch etwas unterscheidet sie grundlegend von den Menschen der Erde: Sie sind sowohl Mann als auch Frau, fortpflanzungsfähig sind sie nur während einer kurzen Zeitspanne, die sie Kemmer nennen. Während dieses regelmäßig wiederkehrenden Zyklus werden sie entweder zu Männern oder Frauen, wobei sie niemals vorher wissen, welches Geschlecht sie beim nächsten Mal annehmen werden. Den Rest der Zeit über sind sie weder das eine noch das andere. Genly Ai empfinden sie als biologische Kuriosität, da er sozusagen ständig in Kemmer ist. Er hat es schwer, die Gethenianer davon zu überzeugen, dass es für sie von Vorteil wäre, der Ökumene als letzter Außenposten des bewohnten Teils der Milchstraße beizutreten. Die linke Hand der Dunkelheit ist schon einmal unter dem Titel Winterplanet erschienen und wurde nun zum 40jährigen Jubiläum der Heyne Science Fiction-Reihe unter dem ursprünglichen Titel neu aufgelegt. Die vorliegende Ausgabe wurde nicht nur neu übersetzt, sie enthält außerdem jeweils ein Vorwort der Autorin und eines von John Clute, dem bekannten Sciencefiction-Kritiker. Der preisgekrönte Roman, der ursprünglich 1969 erschienen ist, erzählt auf poetische Weise die Abenteuer von Genly Ai, der auf dem Planeten Winter, der sich auf der Höhe eines Eiszeitalters befindet, zwischen die Fronten von zwei miteinander verfeindeten Nationen gerät. Le Guin erschafft eine Welt, die alles, was wir von der Erde her gewohnt sind, auf den Kopf stellt. Die traditionellen Rollen der Geschlechter, die das Leben der Menschen auf der Erde seit Jahrtausenden bestimmt haben, existieren auf Winter nicht, was zu einer völlig anderen Gesellschaftsstruktur geführt hat, auch wenn die Gethenianer sich äußerlich kaum von den Menschen unterscheiden. Tief verankerte menschliche Eigenschaften wie den Hang, Kriege zu führen, gibt es jedoch auch hier, auch wenn der Geschlechterkrieg unbekannt ist. Was die Gethenianer vor allem sympathisch macht, ist etwas, was wir vielleicht als "Gemütlichkeit" bezeichnen würden. Obwohl sie über die technischen Möglichkeiten verfügen, sind ihre Fortbewegungsmittel nicht schneller als die Autos auf der Erde zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wer der Hektik unserer Gesellschaft entfliehen möchte und bereit ist, sich in Le Guins Welt hineinzudenken, wird irgendwann von ihr verzaubert sein, auch wenn das Buch zunächst etwas schwer zugänglich zu sein scheint. Wenn man sich einmal an den Stil der Autorin gewöhnt hat, fällt es nicht mehr schwer, sich in die eisigen Weiten von Gethen zu versetzen und dem Gesandten Genly Ai bei seinen Vermittlungsversuchen fröstelnd über die Schulter zu sehen. Heyne, München, 2000
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Zuletzt aktualisiert am: Dienstag, 02. September 2003 Copyright 2000 Christina Gross & Monika Hübner |