In einer kleinen Stadt in den Südstaaten wird die zehnjährige Tonya
Hailey von zwei Betrunkenen brutal misshandelt und vergewaltigt. Die
Schuldigen werden bald gefasst, im Gerichtsgebäude kommt es dann zu
einem weiteren Drama: Der Vater des Mädchens erschießt die
Vergewaltiger und verletzt versehentlich auch einen Polizeibeamten
schwer. Normalerweise wären die Sympathien der als Geschworene
berufenen Einwohner des Bezirks klar auf der Seite des Vaters des
Vergewaltigungsopfers, aber leider hat die Sache einen kleinen
Schönheitsfehler: Carl Lee Hailey hat die falsche Hautfarbe. Die
Geschworenen sind parteiisch und können sich nicht recht entscheiden,
ob ein Mann mit schwarzer Hautfarbe genauso wie einer mit weißer
Hautfarbe behandelt werden sollte. Der mit dem Fall betraute junge
Anwalt Jake Brigance hat einen schweren Stand, alles spricht dafür,
dass seine Karriere beendet sein wird, noch bevor sie begonnen hat, wenn
er diesen Fall verliert...
Die Jury war nach Die Firma, Die Kammer und Der
Regenmacher, die mir alle mehr oder weniger gut gefallen hatten,
mein vierter Grisham. So wie es aussieht, wird dieses Buch auch mein
letzter Grisham sein, da mir die Lust auf die Lektüre weiterer Werke
dieses Autors vorerst ziemlich vergangen ist. Vielleicht nutzt sich das
Thema "Gerichtsdrama" auch schneller ab als andere, wenn man
erst einmal ein paar davon gelesen hat, aber Die Jury konnte
meine Aufmerksamkeit nicht dauerhaft fesseln. Vielleicht ist es auch das
immer gleiche oder zumindest ähnliche "Strickmuster", das
ziemlich bald den Eindruck vermittelt, wenn man ein Buch von Grisham
gelesen hat, hat man sie im Grunde alle gelesen. Im Mittelpunkt steht
immer ein besonders junger, besonders dynamischer Anwalt, der mit allen
Problemen des Berufsanfängertums zu kämpfen hat. Lediglich der
jeweilige Fall variiert, aber das scheint den meisten Lesern bereits
genug Anreiz zu sein, um zu weiteren Werken dieses Autors zu greifen.
Die gut 600 Seiten der Jury bieten zwar immer wieder einmal
einen Höhepunkt, aber dazwischen dümpelt die Handlung vor sich hin und
ist so prickelnd wie eine Folge von Kommissar Derrick. Wer
Südstaatenklischees liebt, wird hier bestens bedient werden, auch der
Ku-Klux-Klan hat seinen großen Auftritt. Die Charaktere bleiben
buchstäblich farblos, lediglich der Angeklagte hat etwas mehr Profil.
Der junge Anwalt ist so politisch korrekt, dass einem fast übel davon
werden könnte; solange seine Frau in der Nähe ist, mimt er den
perfekten Familienvater, sobald sie die Stadt verlässt, hat er nichts
Besseres zu tun, als in die schlimmsten Gewohnheiten seiner
Studententage zurückzufallen. Fast wünscht man ihm, er möge den
Prozess verlieren, auch wenn das eine himmelschreiende Ungerechtigkeit
wäre. Alle Sympathien des Lesers konzentrieren sich allein auf den
Angeklagten.
Eigentlich erstaunlich, dass es sich bei Grisham um einen der
meistverkauften (und auch -gelesenen?) Autoren der letzten Jahre
handelt. Man fragt sich, wer mehr als drei oder vier Bücher von ihm
liest und noch immer begeistert ist - ein unergründliches Rätsel, an
dem vielleicht sogar Sherlock Holmes verzweifelt wäre.
|