Dass die Eiszeit bei der Entwicklung des menschlichen Gehirns eine
wesentliche Rolle gespielt hat, ist eine anerkannte Tatsache in der
Wissenschaft. Der moderne Mensch ist ein Kind der Eiszeit, aber welchen
Einfluss hatte das Klima auf die Vergrößerung des Gehirns?
William Calvin geht das Thema aus einer etwas anderen Perspektive an als
die, die wir von seinen Fachkollegen sonst gwohnt sind. Wie schaffte der
Mensch es, unter den rauen Bedingungen, die das eiszeitliche Klima
schuf, nicht nur zu überleben, sondern sich sogar noch
weiterzuentwickeln, und das mit einer für die Evolution geradezu
rasanten Geschwindigkeit?
Wenn das Klima sich verschlechtert, leidet nicht nur die Fauna,
sondern auch die Flora. Der frühe Mensch musste daher seinen Lebensstil
den neuen Gegebenheiten anpassen, d.h. als Jäger und Sammler musste er
sich stärker auf die Jagd spezialisieren. Während der letzten Eiszeit
war die Vegetationsperiode kurz, den Rest des Jahres mussten die
Menschen sich auf andere Weise ernähren. Der Selektionsdruck
begünstigte also diejenigen, die die effektivsten Jagdtechniken
entwickelten, was wiederum eine Verbesserung der Denkfähigkeit und eine
Zunahme des Gehirnvolumens zur Folge hatte, bedingt durch die
Notwendigkeit von koordiniertem Jagdverhalten.
Was Calvins Theorie so interessant macht, ist die Entdeckung, dass
Faustkeile sich hervorragend als Jagdwerkzeug eignen. Wenn sie geworfen
werden, verhalten sie sich ähnlich wie eine Frisbee-Scheibe, und die
Spitze bohrt sich beim Aufprall in den Boden. Mit einem Faustkeil ist
selbst ein größeres Tier wesentlich leichter zu Fall zu bringen als
mit einem Stein, da der durch die scharfe Kante verursachte Schmerz es
reflexartig in die Knie zwingt, was beim Aufprall eines stumpfen
Gegenstands nicht der Fall ist. Präzises Werfen erfordert ein hohes
Maß an Koordination, zu der ein Affenhirn nicht fähig ist. Die
Wurftheorie erklärt auf einfache, plausible Art, warum das Gehirn
unserer Vorfahren sich auf so rasante Weise entwickelt hat.
William H. Calvin ist Neurobiologe und Professor für Psychiatrie und
Verhaltensforschung an der University of Washington in Seattle. Er
gehört zu denjenigen Wissenschaftlern, die Bücher für Laien schreiben
können, ohne dabei zu sehr zu verallgemeinern oder zu trivialisieren.
Der Schritt aus der Kälte ist kein trockenes Lehrbuch, sondern
ein faszinierender Abstecher in die Welt unserer Vorfahren, der uns hilft zu verstehen, warum wir zu dem wurden, was wir heute sind. |