Ein Massengrab in Georgien stellt die mit der Untersuchung betraute Gruppe von
Wissenschaftlern vor ein Rätsel: Die Toten, von denen man zunächst annahm, sie stellten
einen sensationellen archäologischen Fund dar, sind in Wirklichkeit erst vor ein paar
Jahren gestorben, und keineswegs auf natürliche Art und Weise. Es handelt sich um
Männer, Frauen und Kinder, und es scheint so, dass ein ganzes Dorf ausgelöscht wurde.
Noch schockierender ist die Tatsache, dass alle Frauen schwanger waren, als sie starben.
Zur selben Zeit werden in den Alpen die mumifizierten Überreste zweier Neandertaler
gefunden, die ein Neugeborenes bei sich hatten, das verwirrend "moderne"
Merkmale aufweist. Die beiden Funde scheinen zunächst in keinerlei Zusammenhang
miteinander zu stehen, aber das Auftreten einer neuen Art von Influenza, die
ausschließlich schwangere Frauen betrifft, bringt die Biologin Kaye Lang auf die Spur
eines Retrovirus, das seit Millionen von Jahren in der menschlichen DNS vorhanden war und
nun auf geheimnisvolle Art und Weise aktiviert wurde. Die Zukunft der Menschheit scheint
bedroht zu sein, oder ist hier im Gegenteil ein Mechanismus der Artbildung am Werk?
Wer hat sich nicht schon einmal die Frage gestellt, ob die Evolution des Menschen mit
dem Auftreten der Art Homo sapiens sapiens beendet war? Seit ca. 100.000 Jahren
hat der Mensch sich morphologisch nicht mehr verändert, auch wenn es eine Weile gedauert
hat, bis wir angefangen haben, Städte zu bauen und den Weltraum zu erkunden. Greg Bear
erfindet in Darwin's Radio eine neue Menschheit, die genau wie wir innerhalb
einer - geologisch gesehen - extrem kurzen Zeitspanne durch einen evolutionären Sprung
entsteht. Diese von der Darwinschen graduellen Sichtweise der Evolution abweichende
Darstellung wurde in den siebziger Jahren erstmals von Niles Eldredge und Stephen Jay
Gould vorgeschlagen. Sie nannten sie Punctuated Equilibrium, "unterbrochenes
Gleichgewicht", eine Theorie, die im Wesentlichen besagt, dass Evolution nicht durch
kleine Veränderungen über lange Zeiträume hinweg vor sich geht, sondern sprunghaft in
isolierten Populationen. Auf die Menschheit angewandt eröffnet dies faszinierende
Möglichkeiten für einen Autor, unsere Zukunft auszumalen.
Greg Bear ist mit Darwin's Radio ein spannender
Roman gelungen, den man nicht leicht aus der Hand legt.
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